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Selbstverteidigung für Frauen


Gibt es eigentlich eine 'Selbstverteidigung für Frauen'? Nun, eigentlich nicht. Zumindest von der technischen Seite können Selbstverteidigungstechniken gleich gut von Frauen und Männern umgesetzt werden; daher verzichte ich auch auf die Schilderung von 'frauenspezifischen Techniken'. In vielen Gebieten sind Frauen erfahrungsgemäß sogar überlegen. So sind sie oftmals beweglicher und ausdauernder als Männer. Vielfach kommt ein besser entwickeltes Gleichgewichtsgefühl dazu. Defizite sind dagegen vor allem auf dem Gebiet der kraftorientierten Techniken vorhanden.
Nun könnte natürlich versucht werden, dieses 'Defizit' auszugleichen. Dazu müßte allerdings ein intensives Bodybuildingprogramm beschritten werden. Mal davon abgesehen, daß so etwas nur bei einem Bruchteil(chen) der Frauen auf Gegenliebe stößt - es muß wirklich nicht sein. Wie schon gesagt: es gibt zwei Methoden, effektive Techniken anzubringen. Über Masse und über Geschwindigkeit. Also ist es ratsam, beim Training eher die Gewandheit, den Effet des Schlages/Trittes oder auch das Gleichgewicht zu schulen. Natürlich dürfen darüber hinaus Kraftübungen nicht vergessen werden, nur werden diese eben nicht unter der Zielsetzung durchgeführt, den Bizeps aufzublasen.

Eine sehr wichtige Seite der 'Selbstverteidigung für Frauen' (ich bleibe dabei, schreibe das aber bewußt in Gänsefüßchen) ist sicherlich die Psyche. Und zwar (grundsätzlich) in wesentlich stärkerem Maße als bei Männern. Es gilt, das eigene Selbstbewußtsein zu schulen. Nicht immer zusammenzucken, wenn plötzlich ein lautes Geräusch das Ohr trifft. Nicht immer mit gesenktem Blick herumlaufen. Keine gehetzten, hektischen Schritte oder gar Laufen in der Dunkelheit oder an einsamen Stellen.

Aufmerksam die Umgebung betrachten. Einen Blick auch mal (für einen Augenblick) erwidern. Einfach vorstellen, durch den Gegenüber durchzusehen. Mit ruhigen Schritten gehen. Wenn es hilft: auf die eigene Atmung achten. Ruhig ein, ruhig aus. Sich die eigene Stellung vor Augen halten: nicht ans Opfersein denken. Lieber auf das besinnen, was gelernt wurde. Auf die Fähigkeiten, sich zu verteidigen. Darauf, daß kein Angreifer unbesiegbar ist.

Wenn schon vorher klar ist, daß der Heimweg unvermeidbar (nicht doch ein sichererer Umweg denkbar? Bequemlichkeit ist fehl am Platze, evtl. ein Taxi nehmen?) durch einsames, dunkles Gebiet geht, sollte nicht unbedingt Kleidung getragen werden, die die eigene Beweglichkeit einengt. Also nicht enge, knappe Kleider und hochhackiges Schuhwerk. Auch sollten unbedingt solche Ablenkungen wie Walkman etc. unterlassen werden. Wenn die eigene Wahrnehmung dadurch blockiert wird, hat ein Angreifer nämlich oft auch noch den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Muß nicht sein.

Was aber, wenn doch plötzlich ein Angreifer mit eindeutigen Absichten erscheint?

Früher wurde den Frauen geraten, sich im Falle einer Vergewaltigung nicht zu verteidigen, um Schlimmeres zu verhindern. Falsch! Sie sollten sich verteidigen. Das mag die beigefügte Statistik (polizeiinterne Studie zum Gegenwehrverhalten bei Sexualstraftaten für die Jahre 1991-1994) belegen:

Bild: Statistik (6 kB)

Untersucht wurden 522 Fälle im Zeitraum von 1991-1994 (neuere Zahlen stehen mir leider nicht zur Verfügung). Folgende Ergebnisse kamen dabei heraus:

Keine Gegenwehr leisteten 175 Frauen = (33 %). Die Täter erreichten ihr Ziel in 74 % der Fälle, bei 26 % wurde die Tat nicht vollendet, da z.B. unbeteiligte Dritte vorbeikamen.

Leichte Gegenwehr leisteten 207 Frauen (=40 %). In 36 % der Fälle wurde die Tat trotz Gegenwehr vollendet, in 132 Fällen nicht. In 37 Fällen waren andere, äußere Umstände beteiligt.

Massive Gegenwehr leisteten 140 Frauen (=27 %). In 15 % der Fälle wurde die Tat dennoch vollendet, in einem Fall eskalierte die Gewalt (Frau wehrte sich in ihrer Wohnung massiv gegen einen ihr bekannten Täter) und die Tat wurde ausgeführt. In 84 % der Fälle führte die Gegenwehr zum Abbruch der Tat, z.T. waren wieder äußere Umstände beteiligt. Dabei wurde als massive Gegenwehr schon einmaliges Treten oder Schlagen, lautes Schreien, Beißen oder an-den-Haaren-ziehen gewertet. Nur eine einzige Frau war Kampfsportlerin und setzte entsprechende Techniken ein. In zwei Fällen wurde der Täter zunächst gewalttätiger, als sich daraufhin auch die Frauen noch stärker zur Wehr setzten, wurde die Tat in beiden Fällen abgebrochen.

In 89 % der Fälle wurde die Tat durch einen Einzeltäter begangen, bei 7 % waren es zwei Täter. In 10 % der Fälle war der Angreifer bewaffnet.

Soviel zu dieser Erhebung (die im übrigen das wiederspiegelt, was Kriminologen schon vorher festgestellt hatten). Ich finde, daß eine Quote von 84 % Abbrüchen bei massiver Gegenwehr gegenüber 25 % bei keiner Gegenwehr für sich spricht. Der Grund, aus dem früher davon abgeraten wurde, sich zu verteidigen, war der, daß eine noch schlimmere Eskalation (?) vermieden werden sollte. Nun, zum einen ist die Forschung dabei zum Ergebnis gekommen, daß zwar ein Zusammenhang zwischen körperlichen Verletzungen und Widerstandleisten besteht, es dabei aber nicht klar ist, was was bedingt. Ob nun der Widerstand des Opfers die gesteigerte Gewalt hervorgerufen hat, oder aber ob die 'extreme' Gewalt den Widerstand des Opfers hervorgerufen hat, ist nicht erwiesen. Dazu muß allerdings weiter gesagt werden, daß eine Eskalation aber auch dann möglich ist, wenn überhaupt keine Verteidigungsmaßnahmen ergriffen werden. Eine Garantie ist also nie gegeben, so makaber das klingen mag.


Was sind das für Leute, welche Ursachen hat ihr Tun? Kann daraus etwas gefolgert werden, was die Wahrscheinlichkeit verringert, in eine Opfersituation zu kommen?

Die neueren Tendenzen in der Kriminologie ziehen für die Ursachenforschung soziologische, psychologische und sozialpsychologische Aspekte heran. Die Vergewaltigung sei das Ergebnis langer und tiefverwurzelter sozialer, männerdominierter Traditionen (sog. 'sozialstrukturelle Theorie'); die Vergewaltigung sei das Ergebnis einer allgemeinen sozialen Desorientierung und der Gettoisierung (sog. 'Theorie der Subkultur der Gewalt') oder...oder...oder... (ich verzichte auf die Aufzählung diverser anderer Theorien, bei Interesse kann ich gern entsprechende Nachweise liefern). Das mag ja alles sein, nur werden das Opfer solche Backgrounds im Falle des Falles wenig interessieren. Der forensische Aspekt soll hier außen vor bleiben.
Die ältere psychatrisch orientierte Kriminologie (mit 'älter' meine ich etwa den Zeitraum bis Anfang der 90'er Jahre des 20. Jahrhunderts) könnte da schon eher im konkreten Fall hilfreich sein. Was sagen die 'Alten' ;) also?
Nun, gemeinhin wurde hier der Täter in vier Kategorien eingeteilt. Einmal der Täter, der aufgrund unkontrollierbarer Triebe und Impulse handelt. Zweitens derjenige, der aufgrund einer Geisteskrankheit, Psycho- oder Soziopathie handelt. Drittens der Täter, der vorübergehend die Kontrolle über sich verloren hat (Alkohol etc.) und viertens derjenige, der auf 'Opferveranlassung' hin gehandelt hat.
Tätern der ersten und zweiten Gruppe kann schlecht ausgewichen werden. Ihnen ist ihr Schaden nicht anzusehen. Unter den Tätern mit psychischen und sozialen Störungen ist derjenige anzutreffen, der das Opfer bei der Tat nicht als Menschen sieht, sondern als Objekt ('Entpersonalisierungsvariante'). Es wird von Fällen berichtet, in dem ein Opfer dem Täter klarmachen konnte, daß es eben kein Objekt ist. Dann kann der Täter das Interesse verlieren. Er ist abgeschreckt.
Der dritten Gruppe kann in der Regel leicht ausgewichen werden. Zu bestimmten Zeiten sollten bestimmte Orte gemieden werden, wenn deutlich wird, daß Anwesende zu unkontrollierten Sachen neigen (Pöbeleien, Herumgröhlen etc.) den Ort verlassen, etc. .
Die Risiken aus der vierten Gruppe können eventuell dadurch minimiert werden, indem alles unterlassen wird, daß einen potentiellen Täter in irgendeiner Weise reizt. Das kann schon damit anfangen, die langen Haare unter einer Baseballcap zu verbergen, die Kleidungswahl spielt eine Rolle, möglicherweise auch die Mentalität bestimmter Bevökerungsgruppen (gerade im Urlaub bedenken!).
Es wird behauptet, daß solche Tips, wie sie gerade gegeben wurden, besser nicht gegeben werden sollten, um die Frauen nicht von Anfang an quasi psychisch in eine Opferrolle zu drängen. Motto: ich kann mir dies und das auch solange einreden, bis es Wirklichkeit wird. Das soll hiermit auch nicht erreicht werden. Eine gesunde Vorsicht kann jedoch nicht schaden - das hat nichts mit 'Bangemachen' oder gar Schuldzuweisungen zu tun.

Weitere - allgemeine - Informationen zum Thema 'Gewaltentstehung' finden sich im Kapitel Grundsätze/Gewaltentstehung.


Jeder interessierten Frau sei schließlich der Besuch eines Selbstverteidigungskurses wirklich ans Herz gelegt. Es bringt etwas! Die eigenen Fähigkeiten verbessern sich ungemein, das Selbstbewußtsein bekommt einen Schub, Hemmschwellen werden abgebaut, etc. . Allerdings gilt auch hier wieder: erst mal angucken, wer das macht. Jemand, der eine Karatestunde abhält (in der nur Frauen sind) gibt noch lange keinen Kurs, der den Ansprüchen genügt. Auch Leute, die protzend auftreten, eventuell gepaart mit pseudomotivierenden Sprüchen ('Du bist die fauchende, kämpfende Löwin, Deine Krallen zerschmettern jeden Mann' o.ä.) sind mit Vorsicht zu genießen. Eingeschränkt nützlich können auch Wochenendworkshops sein. Als Einstieg sind sie sicher - vor allem in psychologischer Hinsicht - gut geeignet, sie können aber gerade was körperliche Fertigkeiten angeht, niemals das leisten, was ein laufender Kurs kann. Es genügt eben nicht, eine tolle Technik am Wochenende gezeigt zu bekommen. Sie muß (unter Aufsicht) geübt werden. Wieder und immer wieder. Übrigens: solche Kurse können auch bei bzw. über die Polizei absolviert werden. Einfach mal anfragen (Kriminalkommissariat 'Vorbeugung').
Genaues Anschauen lohnt sich übrigens auch bei den zahllosen Büchern zur Frauenselbstverteidigung. Reißerischen Bänden, die ohne weiteres vermitteln, wie der Angreifer sicher und effektiv querschnittsgelähmt oder gar getötet wird, kann ich kein Verständnis entgegenbringen.


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